Früh aufstehen war heute angesagt. Bereits um 6:30 Uhr ratterte der Wecker los. Etwas zu früh wie ich später bemerkte. Wir mussten erst um 8:15 bei Timea sein. Das bedeutet ca. eine halbe Stunde fahrt. Weil am morgen sehr viel Verkehr in der Stadt herrscht und wir etwas länger brauchen würden, rechneten wir etwas mehr Zeit ein.
Ihr wundert Euch sicher, dass in einem Kriegsgebiet alles so relativ normal zu laufen scheint. Man merkt tatsächlich kaum etwas von dem Krieg hier in diesem Teil des Landes. Das wunderte auch mich sehr und ich begann dem nachzugehen.
Was mir schon aufgefallen war, waren die vielen Baustellen in der Stadt und im Umland. Ich fragte bei unserer Begleiterin nach. Eigentlich ist es ja nicht üblich, dass in einem Gebiet investiert wird, in dem gerade ein Krieg tobt.
Aber genau dass passiert hier gerade. Was also ist da los? Es gibt offenbar zwei Hauptgründe dafür. Zuerst einmal sind viele reiche Ukrainer aus den Krigsgebieten hierher geflüchtet und haben hier Land gekauft. Darauf bauen Sie jetzt Häuser und Wohnblöcke für die vielen wohlhabenden Flüchtlinge. Für die einheimischen Menschen wird der Wohnraum dadurch immer teurer. Eine sehr schlechte Folge davon.
Ein anderer Grund ist vermutlich ein politischer. Orban, das korrupte Staatsoberhaupt Ungarns und Putin sind gute Freunde. Orban möchte sich diesen Teil der Ukraine in sein Land zurückholen. Es gehörte viele Jahrhunderte zu Ungarn. Unter der Sowjetunion wurde das Land dann wieder zur Ukraine geführt. Genauso wie auch die Krim.
Da wundert es auch wenig, dass dieser Teil des Landes vom Krieg bisher weitgehend verschont geblieben ist. Natürlich sind auch hier die Strom und Wasserversorgung eingeschränkt. Aber wie man hört wesentlich weniger schlimm als im Rest des Landes.
Die meisten Menschen die wir besuchen, wohnen in völlig heruntergekommenen Häusern und sind auch heute noch dort. Einige die konnten, sind ins Ausland nach der Slowakei oder Polen geflüchtet. Andere harren aus, weil es trotz allem immer noch Ihre Heimat ist und Sie nicht wegziehen wollen. Oder das Geld fehlt , oder Sie zu alt sind um anderswo Fuss zu fassen.
Oft ziehen die Kinder weg, weil es in dem Land schon lange keine richtigen Alternativen gibt. Durch den Krieg eröffnet sich für die Jungen die Chance in einem EU Land eine bessere Zukunft aufzubauen.
Auch viele junge Männer flüchten vor dem Militärdienst. Sie sehen täglich wie Familien Ihre Söhne verlieren. Sie sehen wie Jugendfreunde als Invalide zurückkehren. Wer will es Ihnen verübeln, dass Sie diesem Schicksal entfliehen wollen?
Deshalb herrscht in Ushgorod eine unwirkliche Stimmung. Die Läden sind geöffnet. Es gibt Waren zu kaufen wie nicht einmal vor dem Krieg! Die Strassen sind beleuchtet und es herrscht ein reges Treiben. Ush heisst übrigens Ringelnatter und Gorod am Fluss. Ushgorod also die Ringelnatter am Fluss.
Wir sind heute ungefähr 80km in den Norden gefahren. Der Ort heisst Vinogradovo und liegt in einem ehemaligen Weingebiet. Dort haben wir sehr viele Familien besucht. Oft haben wir die Care Packete an der Haustür abgegeben.
Dann waren wir bei der Familie mit den drei Söhnen von denen zwei geistig behindert sind. Dort haben wir vor fünf Jahren Geld für eine Kuh in der Schweiz gesammelt. Verena erinnert sich sicher noch daran.
Der Familie geht es nicht sehr gut. Das Geld wurde für den Lebensunterhalt gebraucht. Eine Kuh hätte Ihnen zu viel Arbeit beschert. Der Eheman der Frau ist vor zwei Wochen verstorben. Er lebte getrennt von der Familie und war alkoholsüchig. Daran ist er denn auch letztlich verstorben.
Die Frau leidet an einer Krankheit die nach einen Beinbruch dazu führte, dass die Kniegelenke unbeweglich wurden. Sie kann nicht mehr gehen und bewegt sich im Haus nur mit den Armen am Boden entlang.
Sie wird demnächst wieder einmal an den Knien operiert und hoffentlich kann Sie danach irgendwann wieder gehen. Sie suchte sich aus den Stricksachen eine schwarze Strickmütze heraus. Dabei liefen der armeen Frau die Tränen aus den Augen.
Es ist Tradition, dass eine Wittwe ein Jahr lang nach dem Tod des Ehemannes schwarz tragen sollte. Eine schwarze Mütze hatte Sie noch nicht und schon gar nicht ein so prächtiges Exemplar. Sie hätte sich also von dem wenigen Geld eine kaufen müssen. Das bleibt Ihr damit erspart. So haben die Schweizer Strickerinnen wieder einem Menschen eine warme Kerze der Menschlikeit in die Trauer gebracht. Auch das Verena, verdankst Du bitte Deinen Frauen.
Auf der Rückfahrt sind wir in Ushgorod noch kurz durch die Altstadt gewandert und haben dabei den Tag ausklingen lassen. Auch wenn das was wir hier tun lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein bedeutet, so ist es eben doch schön es tun zu können.
Ich werde jetzt noch einen Tee trinken gehen und wünsche Euch noch einen schönen Abend mit Euren Liebsten
Euer Swiss 🌹❤️